Junges Reitpferd – ein Problem?
Die Ställe sind voll, das ungerittene junge Pferd ist nicht zu vermarkten. Eher zu verkaufen sind gerittene Pferde, möglichst noch mit einigen Platzierungen. Das „Verkaufspferd“ heute muss nicht nur chic, sondern vor allem unter dem Reiter möglichst Ausdrucksstark sein. Es muss viel „Tritt“ haben und auf Knopfdruck funktionieren. Dagegen steht, dass Pferdezüchter ihre jungen Pferde möglichst früh an den Mann oder die Frau bringen wollen. Wird ein junges Pferd an einen Amateurreiter verkauft, steht der Ausbilder des neu gekauften Pferdes unter demselben Zwang. Ausbildung des jungen Pferdes in kürzester Zeit zum größtmöglichen Erfolg. Der kurzfristige Erfolg ist für den Nicht-Fachmann am leichtesten messbar. Konsequenz aus allem ist, dass das 3-jährige Pferd innerhalb kürzester Zeit angeritten und ausgebildet werden soll.
3-jährige Pferde sind wie pubertierende Kinder. Sie sind weder körperlich noch psychisch ausgereift und können die an sie heute gestellten Anforderungen in diesem Alter noch gar nicht verkraften. Sowohl körperliche als auch psychische Langzeitschäden entstehen in diesem Alter.
Wie sieht die Praxis aus?
Die Praxis ist für Ausbilder und Pferdzüchter/ -verkäufer schwieriger denn je. Die Ausbildung der Reiter ist nicht immer zufriedenstellend. Der Reiter und /oder Pferdekäufer ist häufig kein Profi. Er oder sie verdient sein Geld in einer völlig anderen Branche. Das Pferd und der Reitsport sind eine Freizeitbeschäftigung . Der Reiter möchte sich in seiner Freizeit entspannen und keinen Stress haben. Das „Produkt“ Pferd muss für den Endverbraucher gebrauchsfertig sein. Das Motto heißt „Draufsitzen und Losreiten“. Das heißt für den Profi sehr schnell auszubilden. Für das funktionierende Pferd wird dann auch entsprechendes Geld ausgegeben. Der Leistungsdruck ist auch hier in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Dass diese Forderung mit einem Lebewesen Pferd nicht immer so einfach zu erfüllen ist, versteht sich von selbst. Schnell angerittene junge Pferde werden von einem Profi für den Amateur mundgerecht vorgestellt. Reiterliche Probleme stellen sich schnell ein, wenn der Amateur dieses nicht solide ausgebildete Pferd selbst über einige Zeit geritten hat. Neben reiterlichen Problemen sind langfristig gesundheitliche Folgen an der Tagesordnung. Zu schnelles „Fertigmachen“ der Pferde belastet vor allem die Gliedmaßen extrem. Lahmheiten, Rückenprobleme und nervös bedingte Erkrankungen können Folge einer zu frühen reiterlichen Belastung sein. Viele Reiter verlieren den Spaß am Reiten, da die Pferde permanent wegen Lahmheit oder anderen körperlichen Problemen ausfallen.
Wie sieht die Sicht des Pferdes aus?
Im Sinne der Pferde und langfristig auch im Sinne der Pferdezüchter und der gesamten Reiterei wäre eine solide Ausbildung z.B. im Sinne der Richtlinien für Reiten und Fahren – Ausbildung des jungen Pferdes. Dazu bedarf es verantwortungsbewusster und langfristig denkender Pferdefachleute. Eine vorsichtige Ausbildung des jungen Pferdes entsprechend seinem Alter mit Festigung von Takt, Losgelassenheit und Anlehnung ist die Basis dafür. Ein junges Pferd bis zum 5ten Lebensjahr ist immer noch in seiner Entwicklung. Ab dem 3ten Lebensjahr ist eine reiterliche Ausbildung grundsätzlich möglich. Die ersten Schritte der Ausbildung sollten sich mit Gewöhnung an Sattel und das Reitergewicht beschäftigen. Das Gleichgewicht unter dem Reiter zu finden ist aufgrund des höheren Schwerpunktes für ein junges Pferd extrem schwierig. Ohne dieses Gleichgewicht kann sich ein Pferd nicht loslassen. Der Reiter kann auf dem nicht losgelassenen Pferd auch nicht korrekt sitzen und einwirken. Eine korrekte Anlehnung kommt nicht zustande. Muskelverspannungen vor allem im Rückenbereich sind konstante Probleme, die diese Pferde ein Leben lang begleiten. Der jugendliche Körperbau mit seinen noch instabilen Gelenken, Sehnen, Bändern usw. wird nur durch vorsichtiges Anreiten stabilisiert. Überlastung in jungen Jahren führt besonders im Bereich des Bewegungsapparates zu Entwicklungsstörungen und Frühschäden. Dauerhafte Unbrauchbarkeit kann die Folge sein. Zu starke nervliche und körperliche Beanspruchung eines jungen Pferde führen zu Übernervosität bis hin zum „über die Uhr drehen“. Pferde die im Parcour steigen, verweigern, sich gegen die Hand wehren, unter dem Reiter weglaufen und vieles mehr sind häufig Folgen einer mentalen Überlastung.
Fazit ist ein aus vielen Gründen unbrauchbares Reitpferd mit einem frustrierten Reiter und damit unzufriedenen Kunden von Züchter, Ausbilder und auch dem Tierarzt.
Was ist zu tun?
Diese erste Phase der Ausbildung, auch als Remonteausbildung bezeichnet, benötigt mindestens 6 bis 12 Monaten. Hier kommt es zu einer ganz wesentlichen physischen und psychischen Stabilisierung des Pferdes. Während dieser Zeit wird das Pferd mit langen Schrittphasen und kurzen Arbeitsphasen langsam aufbauend trainiert. Erst dann können Schwung, Geraderichten und Versammlung als Ziele für die weitere Ausbildung angepackt werden. Bis zum Ende des 4ten Lebensjahres benötigt ein durchschnittliches Pferd um diesen Anforderungen zu entsprechen. Erst jetzt sind auch die Körperstrukturen und das Interieur soweit ausgereift und trainiert, die sportlichen Belastungen ohne Schäden an „Kopf und Körper“ leisten zu können. Ein solide ausgebildetes Pferd, dass A-L Lektionen korrekt ausführen kann, müsste aus reiterlicher und medizinischer Sicht mindestens 5 Jahre alt sein. Das weiß natürlich jeder Profi, kann es nur sehr schwer unter den heutigen Bedingungen und Leistungsanforderungen durchsetzen. Heute werden schon 3-jährige als A fertig angeboten – das kann nicht sein!
Wie heißt das Ziel?
Das Ziel heißt: Leistungsfähige, für den Amateurreiter reitbare und gesunde Pferde mit langer Lebenserwartung! Dieses Ziel erreichen wir nur mit gezieltem Aufbautraining des jungen Pferdes mit Rücksicht auf körperliche Entwicklungszustände – ohne Einflüsse von überehrgeizigen Reiterinteressen! Die Ausbildung der jungen Pferde entsprechend dem Entwicklungsstand wird von einigen Ausbildern und Züchtern so praktiziert. Dies hat sich in diesen Betrieben langfristig bewährt. Ein Verkauf nur um zu verkaufen ist kurzfristig effektiv. Ausbildung junger Pferde nur um die Boxen zu füllen ebenfalls. Vorsichtiges Anreiten beugt gesundheitlichen Schäden vor. Eine fachlich kompetente Aufklärung des Reiters bzw. des Käufers relativiert die Erwartungshaltung und verhindert spätere Diskussionen. Dazu müssen Züchter, Ausbilder und Tierärzte zusammenarbeiten, und die Bereitschaft für Leistungs- und Gesundheitsprophylaxe im Pferdesport verbessern.
Reiten soll Spaß machen, und das geht nur mit dem Pferd. Der zufriedene Kunde / Reiter ist das Potential für die Reiterei, das wir alle, die mit dem Reitsport in Verbindung stehen – heute wie in Zukunft – dringend notwendig haben. Kurzfristiger Kommerz muss hinter langfristigen Erfolgen zurückstehen.
Ziel: Leistungsfähige, für den Amateurreiter reitbare und gesunde Pferde mit langer Lebenserwartung!