Die Schneidezähne – wenig beachtet und doch sehr wichtig
Nicht nur an den Backenzähnen, sondern auch bei den Schneidezähnen ist ungleicher Abrieb, Fehlentwicklung und Zahnverlust festzustellen. Schneidezähne werden nur selten bei der Untersuchung der Maulhöhle berücksichtigt. Sie können aber ebenso deutliche Auswirkungen auf die Kautätigkeit und das Verhalten des Reitpferdes haben wie die Backenzähne.
Fehlt ein Schneidezahn, kommt es zu einem Hineinwachsen des gegenüberliegenden Zahnes in die Zahnlücke. Irritation des Zahnfleisches und des Kieferknochens sind die Folge. Dieser überstehende Zahn verhindert die seitliche Beweglichkeit des Unterkiefers gegen den Oberkiefer. Die Mahltätigkeit wird geblockt, die Futterzerkleinerung verhindert und die Verdaulichkeit des Futters reduziert. Auch die Schneidezähne können abgeschliffen werden. Das Abschleifen muss wie bei den Backenzähnen bei extrem langen Überständen in mehreren Schritten durchgeführt werden. Die Zahnpulpa, das Innenleben des Zahnes, könnte sonst eröffnet werden.
Durch ungleiche, einseitige Kautätigkeit werden die Schneidezähne unregelmäßig abgenutzt. Bei der Vorderansicht der Schneidezahnreihe fällt ein schiefer Verlauf der Kaufläche auf. Manche Pferde haben eine „Lieblingskauseite bzw. -kaurichtung“ und nutzen dementsprechend ihre Zähne auf einer Seite deutlicher ab als auf der anderen. Die Schneidezähne werden durch diese einseitige Kautätigkeit ungleich abgenutzt. Dieser schiefe Kauflächenverlauf wird im Laufe der Zeit immer extremer. Auch hier gilt, je früher ein Ausgleich der Kaufläche stattfindet, desto geringer sind die Auswirkungen auf das Kauverhalten des Pferdes und die übermäßige einseitige Abnutzung von einzelnen Zahnkronen.
Ausgeglichen wird mit einer speziellen Zahnraspel, mit der die längeren Anteile jeweils rechts und links, oben oder unten abgeschliffen werden. Durch fehlerhafte Ernährung kann es dazu kommen, dass sich die Schneidezähne zu wenig abnutzen. Sie sind extrem lang, während sich die Backenzähne durch die Kautätigkeit weiter abreiben. Die lang gewachsenen Schneidezähne verhindern so eine Berührung der Backenzähne. Das Futter wird nicht mehr ausreichend zerkleinert. Das Abschleifen aller Schneidezähne am Ober- und Unterkiefer bis auf das Niveau, bei dem auch die Backenzähne sich wieder berühren behebt das Problem sofort.
Nicht nur die horizontale Linie der Kaufläche der Schneidezähne ist wichtig bei der Beurteilung des Zahnstandes. Auch die Vertikalfläche spielt eine wesentliche Rolle. Der Unterkiefer verändert seinen Zahnstand von der Seite gesehen schneller Richtung Horizontale als der Oberkiefer. Der Vorderrand der Unterkieferschneidezähne wird stumpf. Die Verlagerung des Unterkiefers nach hinten wird begünstigt. Ein nach vorne Gleiten des Unterkiefers gegen den Oberkiefer kann nicht mehr stattfinden. Der Unterkiefer wird beim durchs Genick gehen nach hinten gedrückt und die Spannung im Kiefergelenk steigt bis zum Schmerzeffekt an. Die Kaufläche der Oberkieferschneidezähne verformt sich so, dass der vordere Anteil nicht mehr abgenutzt und daher immer länger wird. Der Unterkiefer wird immer mehr nach hinten verlagert. Durch das Kürzen und Ausgleichen der Oberkieferschneidezähne am vorderen Schneidezahnrand und den Ausgleich der Kaufläche an den Unterkieferschneidezähnen kann man die nach vorne Verlagerung des Unterkiefers wieder ermöglichen. Manche Pferde speziell in Stallhaltungen zeigen Unarten wie Krippensetzen, Barren- oder Stangenwetzen. Beim Krippensetzen oder Koppen beissen die Pferde in die „Krippe“ oder andere Gegenstände in der Box, stützen sich daran ab und schlucken mit einem deutlich rülpsenden
Geräusch Luft. Diese Unart wird Stundenlang und im Extremfall ohne Unterbrechung von den Pferden durchgeführt. Es kann zu einer extremen Abnutzung der Vorderkante der Oberkieferschneidezähne führen. Die Zähne werden in manchen Fällen soweit abgenutzt, dass die Zahnpulpa, der Versorgungskanal im Zahninneren, eröffnet wird. Diese Pferde zeigen eine deutlich verringerte Futteraufnahme, weil sie Schmerzen im Bereich der Schneidezähne haben. Ist die Zahnpulpa einmal eröffnet, ist eine Komplikation durch Infektion sicher.
Die Therapie besteht darin, die Pferde am Koppen zu hindern. Dazu werden alle Gegenstände aus dem Stall oder Auslauf entfernt, auf denen die Pferde aufsetzen könnten. Scharfe Einreibungen der Kanten in der Box mit Kopperpasten oder ähnlichem sind sehr oft ohne entsprechende Wirkung. Kopperriemen bewähren sich in vielen Fällen sehr gut. Kopper sollten als wichtigstes Therapeutikum eine intensive Beschäftigung durch Bewegung, Koppel- und Weidegang und Boxen mit viel Aktivitäten und Abwechslung Drumherum bekommen. Es gibt die Möglichkeit Kopper operativ am Luftschlucken zu hindern. Eine Kopperoperation ist in ca. 75% der Fälle erfolgreich.
Die Barren- oder Stangenwetzer schleifen ihre Schneidezähne an den Gitterstäben oder horizontalen Trenngittern der Boxen. Sie setzen bei geschlossenem Kiefer die Schneidezähne leicht auf und bewegen sie mit leichtem Druck gegen die Gegenstände hin und her. Sie bewegen entweder nur den Kopf und Hals, oder verlagern ständig wie beim Weben ihr Gewicht vom einen auf das andere Vorderbein. Bei Pferden mit einem sogenannten Barrenwetzergebiss sind sowohl die Ober- als auch die Unterkieferschneidezähne an den Vorderkanten abgeschliffen. Je nach der Technik, mit der die Zähne abgewetzt werden, können bei den Barrenwetzern auch nur die Oberkieferschneidezähne abgeschliffen sein. Das Bild ist hier mit dem beim Kopper vergleichbar. Entfernung von Gegenständen aus der Box, Abwechslung, Beschäftigung und Bewegung sind bei diesen Pferden, wie auch bei den Koppern, die beste Therapie gegen die Unart und damit gegen weiteren Zahnverschleiß.
Als Fazit ergibt sich, auch die Schneidezähne bei schlechtem Fressen oder reiterlichen Problemen zu berücksichtigen. Auch hier gilt häufig kleine Ursache und große Wirkung!