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Zahnbehandlung in der Pferdemedizin

Die Zahnbehandlung beim Pferd macht in den meisten deutschen Pferdepraxen eine Anteil von ca. 5 % aus. Nicht nur aus medizinisch begründeten, sondern auch aus wirtschaftlichen Aspekten sollte die Intensivierung dieses Arbeitsbereiches von jedem Praxisinhaber überdacht werden. Dieser Beitrag soll neben einigen theoretischen Wiederholungen, Anregungen und Argumente für die Verbesserung des zahnmedizinischen Anteils in der Pferdepraxis geben.

Die Zahnanlagen bei Pferden sind ein lebenserhaltendes Werkzeug. Mit der Kaufläche der Backenzähne werden grobe Futterbestandteile in verdaubare Einzelteile zerkleinert. Funktioniert dieses System nicht mehr, kann es schnell zu Mangelernährung und einer dramatischen Erkrankung führen. In Hinblick auf die Wichtigkeit, wird den Zähnen der Pferde oft zu wenig Beachtung geschenkt. Bei uns Menschen ist es selbstverständlich die Zähne 1-2 Mal jährlich überprüfen zu lassen. Die lebenserhaltende Bedeutung ist dennoch bei uns Menschen nicht gegeben. Selbst wenn alle Zähne fehlen, können wir ohne weiteres überleben, bzw. uns mit den dritten Zähnen völlig normal ernähren. Glücklicherweise ist der Zahn des Pferdes so aufgebaut, dass neben der oberhalb des Zahnfleisches sichtbaren Zahnkrone noch eine wesentlich längere Reservekrone im Zahnfach des Kiefers verborgen ist. Der Zahn nutzt sich im Laufe der Zeit an seiner Kaufläche ab und die Reservekrone wird dann entsprechend nachgeschoben. Kommt es zu Entzündungen des Zahnes oder der Zahnwurzel, muss in der Regel der Zahn entfernt werden. Dies verringert die Oberfläche der gesamten Kaufläche und verhindert, dass der gegenüberliegende Zahn weiter abgenutzt wird. Durch falsche Ernährung und fehlerhafte Kautechnik kann es zu einer unterschiedlichen Abnutzung der Schneide- und Backenzähne kommen, die einer Korrektur bedürfen. Pferde kommen mit einem Milchzahngebiss zur Welt. Die mittleren Schneidezähne sind bei der Geburt meistens schon sichtbar. Mit einem halben Jahr sind bei Pferden in der Regel alle Milchschneidezähne vorhanden. Sie wechseln das Milchgebiss mit 2,5 Jahren (I 1), 3,5 Jahren (I 2) und 4,5 Jahren (I 3). Die ersten 3 Backenzähne ( P2 – P4) werden ebenfalls als Milchzahngebiss angelegt. Sie sind bis zum 2ten Lebensmonat vollständig durch das Zahnfleisch geschoben. Sie wechseln die Milchzähne mit 2,5 Jahren (P2), 3 Jahren (P3) und 4 Jahren (P4). In der Zeit des Zahnwechsels haben viele Pferde Zahnprobleme. Die Reste der Milchzähne werden als Milchkappen vor dem nachrückenden, bleibenden Zahn hergeschoben. Die Kanten dieser Milchkappen können sehr scharf sein und die Zunge, bzw. die Backenschleimhaut reizen. Die hinteren 3 Backenzähne (M1-M3), werden gleich als bleibende Zähne angelegt. Der M1 kommt zwischen dem 9.-15. Lebensmonat, der M2 mit 2-3 Jahren und der M3 und letzte mit 3,5 – 4 Jahren. Mit 5 Jahren sind demnach bei allen Pferden alle Zähne vorhanden. Dies heißt nicht, dass jetzt keine entwicklungsbedingten Zahnschmerzen mehr entstehen können. Wie ich eingangs schon erwähnte, hat der Pferdezahn eine Reservekrone, die bei einem jungen Pferd 8-10 mal so groß ist wie die sichtbare Krone. Diese Reservekrone wird bis zum 8. Lebensjahr noch aufgebaut. Bis zu dieser Zeit kann es durch Zahnwachstum zu Zahnschmerzen kommen. Verschieden Pferde haben vor allem an den Oberkiefern, vor dem ersten regulären Backenzahn eine Zahnrestanlage. Dieser Zahn wird auch als Wolfszahn (P1) bezeichnet. Da dieser Zahn sich in dem Bereich befindet in dem das Trensengebisses liegt, kann es hierdurch bei einigen Pferden Rittigkeitsprobleme geben. Weiterhin haben Hengste und Wallache einen sogenannten Hengstzahn (Caninus). Auch dieser Zahn liegt im Zwischenzahnspalt und kann unter Umständen zusammen mit dem Trensengebiss Reaktionen an der Zunge hervorrufen. Vereinzelt kann dieser Zahn auch bei Stuten vorkommen.

Die „Wolfszähne“ können mit relativ geringem Aufwand gezogen werden. Die Hengstzähne dagegen haben eine lange Wurzel. Sie sind zum Teil extrem scharfkantig und können die Zunge empfindlich verletzen. Hier empfiehlt sich das Kürzen bis auf Zahnfleischniveau. Eine Gefahr über die Eröffnung der Zahnpulpa ist bei diesem Zahn nicht gegeben.

Bei der Kaumechanik ist wichtig zu wissen, dass die Unterkieferbackenzähne näher zusammenstehen als die Oberkieferbackenzähne. Der Unterkiefer ist der bewegliche Teil der Kaumechanik. Er verschiebt sich nach einer Seite bis die Backenzähne aufeinanderstoßen und zerquetscht das zu zerkleinernde Futter zwischen den Kauflächen der Backenzähne. Die Backenzähne haben ein 10 – 15 Grad nach außen abfallendes Neigung. Die kreisende Bewegung des Unterkiefers nutzt dieses Gefälle, um möglichst viele Futterbestandteile fein zu zerkleinern. Bei diesem Vorgang ist es sehr wichtig, dass die Schneidezähne nicht zu lang oder asymmetrisch angeordnet sind, da dadurch die Kreisbewegung des Unterkiefers verhindert und die Backenzähne nicht regelmäßig abgenutzt werden können.

Vor allem bei den Backenzähnen kann es zu Karies, Zahnfachentzündungen und Zahnwurzelinfektionen kommen. Diese Erkrankungen sind relativ selten und leider auch schwierig und aufwendig in der Therapie. Zahnstein wird häufig an den Canini und vereinzelt auch an den Schneidezähnen beobachtet.

Auch hier gilt, je eher man diagnostiziert, desto einfacher ist es zu behandeln. Alle diese Dinge zusammengefasst, sind Gründe für eine regelmäßige Zahnkontrolle. Sowohl beim heranwachsenden als auch beim erwachsenen Pferd, sollten die Zähne spätestens in jährlichem Abstand untersucht werden. Gründe für eine Zahnkontrolle ergeben sich aus dem Entwicklungsstand des Pferdes und der Zähne im jeweiligen Alter. Welche Veränderungen in den verschiedenen Altersgruppen zu erwarten sind, zeigt die Aufstellung:

Neugeborene bis zum 1ten Lebensmonat

  1.  Congenitale Defekte
  2. Trauma
  3. Fehlerhafte Stellung der Incisivi
  4. Entwicklungsbedingte Zysten o.ä.

6ter Lebensmonat / 1 Jahr

  1. wie 2. und 3. oben
  2. gegebenenfalls Wolfszähne

12ter Lebensmonat / 3 Jahre

  1. Wie 2. Und 3. Oben
  2. Probleme der nachschiebenden I1
  3. Scharfe Ecke der oberen P2
  4. Schwellungen v.a. an der Mandibula Entwicklung der bleibenden Backenzähne

3 – 5 Jahre

  1. 1. Wie 2.,3. und 4. oben
  2. Probleme der Entwicklung der Canini
  3. festsitzende Zahnkappen
  4. scharfe Kanten an der Außenseite Backenzähne Maxilla, bzw. Innenseite Backenzähne Mandibula

5 – 10 Jahre

  1. 1. Scharfe Kanten wie oben
  2. Entzündungen des Zahnfleisches und der Zahnfächer
  3. Frakturierte Zähne
  4. verlorene Zähne
  5. ungleiche Längenverhältnisse der Backenzähne

10 Jahre und älter

  1. Eher mehr der oben angesprochenen Probleme

Trotz regelmäßiger Prophylaxe kann es natürlich immer zu Zahnproblemen bei einem Pferd kommen. Symptome hierfür können sein:

  • Schlechtes Fressen
  • Mangelhafter Futteraufschluss – grobe Futterbestandteile im Kot
  • Schlundverstopfung
  • Kolik – häufige Koliken
  • Zähne knirschen – Unruhe im Stall
  • Rittigkeitsprobleme – häufig als Rückenprobleme interpretiert
  • Head shaking syndrom

Diese Symptome sollten immer ein Grund sein, die Zähne des Pferdes zu kontrollieren.

Speziell die Punkte Rittigkeitsprobleme und Head-shaking sollten häufiger mit Zahnproblemen in Verbindung gebracht werden. Dazu ist es wichtig zu wissen, dass der Unterkiefer im Bereich des Kiefergelenkes beweglich fixiert ist. Im Bereich des Unterkieferastes besteht eine zweite Aufhängung des Unterkiefers durch die lange Zungenbeinmuskulatur. Beim Reiten und an den Zügel stellen, bewegt sich der Unterkiefer nach vorne. Bei asymmetrischen Zahnflächen, Haken am ersten oder letzten überstehenden Backenzahn oder am äußeren Schneidezahn, verkanten der Ober- und Unterkiefer gegeneinander und es kommt zu einem deutlichen, teilweise schmerzhaften Druck im Kiefergelenk. Pferde wehren sich gegen das „Durchs Genick stellen“. Dies ist keine Boshaftigkeit, sondern sind Schmerzen im Kiefergelenk. Bei Rittigkeitsproblemen sollten die Zähne sicherlich als erstes kontrolliert werden. Eine entsprechende Korrektur löst oft dieses Problem. Sicherlich sind fehlerhaft gestellte Zähne nicht immer eine Entschuldigung für mangelhafte Rittigkeit. Das Kontrollieren der Zähne und deren Behandlung ist aus der Sicht des Stallbesitzers ebenfalls eine sinnvolle Angelegenheit. Keine andere Behandlung hat eine vergleichbar schnelle und messbare Auswirkung. Hat das Pferd einen regelmäßigen Zahnstand, kann es optimal kauen und nutzt das Futter entsprechend maximal aus. Folge ist die Reduzierung der Futtermenge und damit der Futterkosten. Dies kann bis zu 20% der Futterkosten ausmachen!

Um eine optimale Korrektur der Zähne durchführen zu können, sollte eine gewissenhafte Untersuchung der Maulhöhle stattfinden.

Folgendes Schema hat sich für eine genaue Untersuchung der Maulhöhle bewährt.

  • Palpation der Gebisslinien durch die Backen hindurch – scharfe Kanten an den Oberkieferbackenzähnen und Schmerzhaftigkeiten der Backenschleimhäute erkennen.
  • Verschieben der Kiefer gegeneinander – der Unterkiefer sollte sich bei leichtem horizontalem Druck etwa eine halbe Schneidezahnbreite gegen den Oberkiefer.
  • verschieben lassen. Bei etwas erhöhtem Druck öffnet sich der Gebissspalt
  • entsprechend dem 10-15 Grad Gefälle der artikulierenden Backenzähne.
  • Ausspülen der Maulhöhle – Futterpartikel entfernen
  • Adspektion der Schneidezähne bei geschlossenem und bei geöffnetem Maul – horizontale Schneidezahnlinie und Abnutzungsebene der Schneidezähne beurteilen
  • Adspektion der Maulhöhle soweit möglich (Schleimhäute, Gaumen, Canini, Zunge, Praemolare) – auf Verletzungen, Entzündungen und Fremdkörper untersuchen
  • Palpation der Praemolaren/Molaren und deren Umfeld – Haken, fraturierte Zähne und Fremdkörper diagnostizieren. Diese Untersuchung ist nur mit einem geeigneten Maulkeil/Maulgatter möglich.
  • Ergänzend zu den Untersuchungen der eigentlichen Maulhöhle empfiehlt es sich auch die Kopfknochen bzw. die Nasennebenhöhlen, soweit zugängig, einzuschließen – Schmerzhaftigkeiten, Auftreibungen, abnorme Gerüche
  • Eventuell weitergehende Untersuchung durch Röntgen und Endoskopie der Maulhöhle

Eine Untersuchung ohne Hilfsmittel wie einer heller Taschenlampe und eines Maulkeiles/Maulgatters kann nicht ausreichend sein. Die letzten Backenzähne sind ohne diese Hilfsmittel nicht entsprechend zu untersuchen.

Eine Behandlung von Pferdezähnen kann sich nicht auf das Abschleifen der äußeren Kanten der Oberkieferbackenzähne beschränken. Ein horizontaler Ausgleich der Kauflächen am Ober- wie am Unterkiefer sollte der Beginn einer Zahnflächensanierung sein. Dies beinhaltet nicht nur die Backenzähne, sondern auch die Schneidezähne. So können sich die Kiefer in physiologischer Weise in beiden Ebenen wieder gegeneinander verschieben. Besonders wichtig sind der erste und der letzte Backenzahn. Da die Backenzahnreihen nicht immer kongruent zueinander sind, kommt es zu fehlendem Gegenbiss und damit zu einer mangelhaften Abnutzung dieser Zähne. Häufig ist der P2 oben und der M3 unten nicht entsprechend abgenutzt. Dies muss korrigiert werden. Es hat sich bewährt, am ersten Backenzahn (P2) eine Gebissfreiheit anzuschleifen. Der erste Backenzahn wird dabei stark gerundet, so dass die Zunge nicht durch das Trensengebiss am ersten Backenzahn zu stark komprimiert und eventuell verletzt wird. Dies führt bei empfindlichen Pferden häufig zu einer deutlichen Rittigkeitsverbesserung.

Anschließend sollten vorhandene Wolfszähne (P1) entfernt werden. Dies ist in der Regel einfach, da diese Zähne nur eine rudimentäre Wurzel haben. In einigen Fällen kann es zu einer Verwachsung des P1 mit dem Kieferknochen kommen. Diese Zähne brechen sehr leicht bei der Extraktion ab. Der verwachsene Rest ist in aller Regel unproblematisch.

Die Hakenzähne – Canini – sind teilweise so scharf, dass man sich als Untersucher an diesen Zähne selbst verletzt. Diese Zähne können gerundet oder auch bis auf Zahnfleischniveau gekürzt werden. Zahnstein an den Canini und Schneidezähnen sind leicht zu entfernen. Eine Politur dieser Zähne kann allerdings eine erneute Zahnsteinbildung nur verzögern. Karies ist an den Backenzähnen vereinzelt zu diagnostizieren. Durch aufbohren und verfüllen sind diese Veränderungen am Zahn in frühem Stadium zuverlässig aber aufwendig zu behandeln.

Infizierte Zahnfächer und Zahnwurzelentzündungen sind ohne eine Extraktion nur selten in den Griff zu bekommen. Eine Extraktion eines Backenzahnes am stehenden Pferd ist u.U. mit speziellem Instrumentarium machbar. Eine gute Zahnprophylaxe und eine sachgemäße Zahnbehandlung hilft vielen gesundheitlichen und reiterlichen Problemen vorzubeugen. Es gibt sicherlich keinen Grund, warum wir Tierärzte uns dieses sehr dankbare Arbeitsgebiet von Außenstehenden streitig machen lassen sollten. Jeder Pferdepraktiker muss über den Bereich der Pferdezahnmedizin nachdenken und vielleicht in dieser Richtung vermehrt aktiv werden.

 

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